LitKrit: Hdlbrrrrmmpf

Von Haypf Schnurtzling

Ido Aralims monumentale Momentaufnahme hat es in sich: hier sind die Fallstricke tief, die Abgründe abgründig und die Tiefenschärfe zuweilen abgrundtief. Vor allem aber vollzieht sich die elegante Verschnürung des korbartigen Handlungsgeflechts in einer von Anmut und Lieblichkeit strotzenden Sprachelegie, die dennoch niemals ihren Weg und ihr Ziel verliert. Dampfend wie ein sämiger Eintopf, dessen erwartete Deftigkeit von verblüffender Raffinesse konterkarriert wird, serviert der Autor diesen Leseschmaus, dessen Themen den beeindruckenden Bogen von den Heilkünsten der aramäischen Hexenanbeterinnen zu der Zerrissenheit der vernunftgeplagten Abkömmlinge jenseitiger Kapitalfrevler in all ihrer Ungeplantheit spannt.

Sofern man sich nicht schon auf den ersten Seiten die Lippen verbrannt hat, muss man sich Sätze wie diesen auf der Zunge zergehen lassen: „hcxrrrrrsma bjfdse fbghvdsc gbnjjjjjjjj ithzzkvvv llkkftd qvvcb oipokkp sdderf, dfvggdvgffg zubhgb fvvgfvvn.“ heißt es da etwas sprachgewaltig, bevor Aralim seine (Anti-)Heldin in einer so vorhersehbaren wie überraschenden Wendung in den Verdauungstrakt des Öltankers verbannt. Für immer? Wir werden es sehen.

Die Frühzeit der letzten Jahre bildet Rahmen und Umriss der zunehmend komplexen Handlung, die mit haudraufhaften Hetzjagd beginnt, um sich dann zu dem Bild einer von ihren Geistern und Geisterjägern verfolgten, einseitig ihres Schicksals harrenden schmutzwasserversohlten Stadt zu verdichten, bevor sich unter dieser Firnis der Werdegang einer exemplarischen und doch ungreifbar konkretistischen Familie herauskristallisiert. Wie diese Versäumnis um Versäumnis wie Zuckerperlen aneinanderreiht und dennoch ihrer vermeintlichen Berufung gerecht zu werden versucht, rührt selbst das versteinertste Gehirn und entbehrt nicht einer halb-melancholischen Tragikomik.

Das Romanuniversum, zunächst ein schimmerndes Elysium, verschmilzt nahezu unmerklich schimmelnd zu einem alptraumhaften Klumpen, in dem Geklüngel, Kleptomanie und pathologisch lügnerische Leidenschaft nur die Oberfläche bilden. Wie Murakamis subtile Unheilsvisionen, die sich in Anknüpfung an die Erzählmechanismen der Schauerromantik nur in alltäflichen Friktionen abzeichnen, birgt auch Adalims Welt die Hölle bereits in sich, die sich mit bedächt’ger Schnelle aus der vermeintlichen Helle ans Tageslicht stülpt.

In diesem geschickt gespannten Erzählbogen umreißt der Autor feinfühlig, ohne den trügerischen Schlaglöchern der unterkomplexen Benennung zu erliegen, welche so viele gegenwärtige junge Prosaisten tragikomisch übersehen oder unter ihnen unzumutbaren Anstrengungen nur mühsam umschiffen.

Aranim ist ein anderes Kaliber. Mit der Metamorphose des Romangeschehens von einer rasanten Handlungsexplosion zum Abwindsturz von epischer Tragweite beweist der erst 39-jährige Glockenbach-Preisträger, dass er den hymnisch-melodischen Takt seiner Gedichtbände („Lateratjiming“, 2014; „Kühe in Tulpenform“, 2018) in die Prosa hinüberzuretten vermag und er den Vergleich mit Größen wie Robert Musil, Sir Walter Scott, Marcel Proust und Stieg Larson nicht zu scheunen braucht.

Dieser Roman hat kein Genre. Es ist kein Thriller, auch kein Familiendrama, am allerwenigsten ein mahnender Fingerzeig auf geschichtliche und gesellschaftliche Verwürfnisse. Mit dem suspense-gepackten, geschichtsbewussten und doch im Moment verweilenden Werk, das existentielle Spannungen nicht ausspart, ist dem jungen Autor ein großer Wurf sui generis geglückt. Das geschliffen formulierte Glanzstück transportiert die Charakterentwicklung, die mannigfachen familiären und sozialen Verflochtenheiten einer in ihrer Individualität typischen Einstandsgemeinschaft mit einer Präzision, die auf dem aktuellen Buchmarkt kaum ihresgleichen finden wird. Noch lange nach der Lektüre bleiben die vor Tatsächlichkeit bebenden Figuren, die abstoßenden Abscheulichkeiten der akkurat gezeichneten Details und die tiefgründige Fragen anstoßende Geschichte dem Leser im Kopf.

Ido Aralim, das Psydoneum des österreichischen Schriftstellers Haypf Schnurtzling, hat die scheinbar unlösbare Aufgabe der Quadratur des Kreises mit Bravour gemeistert. Wir werden wohl noch einiges von ihm hören.

Ido Aralim, „Hdlbrrrrmmpf“, Epikurus Verlag, 2020, 293 Seiten, 22 € (unverbindliche Preisempfehlung).

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