>ђάℓ𝕃σ W𝑒ℓ𝐭<

Wie alles begann.

Hi Welt. Wie geht’s so? Ja? Cool. Ja, mir auch, danke. Hey, hör mal, Welt, ich hab da so ne Idee. Also eigentlich war’s die Idee von Rattus, aber ist ja jetzt auch egal. Also Rattus und ich dachten, wir könnten uns mal zusammensetzen und dich mit unseren Weisheiten… bereichern. Was meinst?

Hallo?
Welt??
 
 
Ich nehm das mal als Ja.

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Das hat der Filialleiter hier etwas verkürzt dargestellt. Eigentlich geht die Geschichte folgendermaßen:
Eines Abends – ich hatte es mir gerade in meinem bevorzugten Müllcontainer gemütlich gemacht – hörte ich Schritte sich nähern, begleitet von einem sehr verschnupft klingenden Schniefen. Der Containerdeckel öffnete sich. Wie der Mond erschien das Gesicht des mir wohlbekannten Filialleiters über meinem Tetrapack-Sofa. Er sah gar nicht fröhlich aus.
„Rattus!“, rief er.
„Hallo“, sagte ich, mäßig begeistert, denn ich ahnte, dass er nicht nur nach Schichtende den Müll rausbrachte, sondern vor allem mit einer neuen, sturm-und-dranghaften Lebenskrise zu mir kam.
„Ich bin so unglücklich!“, rief er. „Die Filiale läuft nicht richtig, niemand will meine wunderbaren Lebensmittel kaufen, meine Mitarbeiter sind faul, meine Freunde interessieren sich nicht für meine Probleme, niemand interessiert sich für meine Probleme! Der Welt ist alles egal, das Universum ist indifferent!“
„Ja nun“, sagte ich, „der Konkurrenzdruck ist auch wirklich hoch, hier um die Ecke gibt es noch mindestens drei andere Supermärkte, und ich weiß nicht, ob du’s mitbekommen hast, da die Straße runter soll bald noch einer eröffnen. Die haben da diese leckeren-“
„Ich weiß!!“, heulte der Filialleiter auf und warf sich auf den Rand des Containers, den Kopf in den Armen vergrabend.
„Aber hast du nicht mal was von überragenden intellektuellen Fähigkeiten und Superkräften erzählt?“, fragte ich, leicht überfordert von seiner Reaktion.
„Ja, aber selbst die helfen mir nicht weiter. Das ist auch gar nicht mein eigentliches Problem, das eigentliche Problem ist, wohin führt das alles? Was für einen Sinn hat es?“
„Gute Frage“, sagte ich, „aber findest du nicht auch, dass Sinn ein bisschen überbewertet wird? Das ist so ne Menschensache, dass alles immer einen Sinn haben muss, wir Ratten haben da eine ganz andere Perspektive. Wir-“
„Ja, ja“, sagte er (sein Weltbild ist manchmal sehr anthropozentrisch), „aber es ist so frustrierend, zu spüren, dass, egal was wir machen, es komplett egal ist. Im Großen und Ganzen macht es überhaupt keinen Unterschied!“
„Stimmt. Aber wenn es dir so wichtig ist, such dir doch selber einen Sinn, tritt irgendeiner obskuren Sekte bei oder so.“
„Das will ich nicht, das könnte ich nicht ernst nehmen. Außerdem nehmen die einen nur finanziell aus.“
„Du machst es einem echt nicht einfach! Was willst du denn hören? Dem Universum ist es eben egal, was du tust. Der Welt ist es egal. Ein paar Menschen interessieren sich vielleicht oberflächlich dafür, vielleicht auch nicht. Ich hab mich damit abgefunden. Der Welt ist es egal!“
„DER WELT IST ES EGAL!“, schrie er, voller Weltschmerz.
„DER WELT IST ES EGAL!“, schrie auch ich in die Nacht, weil es Spaß machte.
So schrien wir eine Weile weiter, bis ein Betrunkener mitmachen wollte, und wir fanden, es sei nun an der Zeit, aufzuhören.
Das Schreien hatte den Filialleiter etwas aufgeheitert. Er wischte sich übers Gesicht und hob den Müllsack auf, den er fallen hatte lassen.
„Gute Nacht, Ratte“, murmelte er.
„Nacht“, sagte ich.
Er wandte sich um zu gehen.
„Hey“, rief ich ihm nach, als er schon den halben Parkplatz überquert hatte. Er drehte sich nochmal nach den Containern um. „Du machst doch auch so Kleinkunstkram, oder?“
Er nickte.
„Ich hab ne Idee, warum machen wir nicht nen Blog zusammen?“
„Wird das meinem Leben eine Bedeutung geben?“
„Nee, aber es wird bestimmt cool!“
„In Ordnung“, sagte der Filialleiter nachdenklich. „Das klingt gut. Morgen nach meiner Schicht fange ich an zu programmieren.“
„Mach das! Du hast doch eh so viele Bilder und Texte, und erzählst ständig, dass du was schreibst. Wäre doch schade, das alles rumliegen zu lassen.“
Er nickte, und mit aufrechterem Gang und längeren Schritten ging er.
„Und vergiss morgen den Müll nicht!“, rief ich ihm noch hinterher, „der liegt noch hier auf dem Parkplatz!“

Schöne Geschichte, nur leider entspricht sie nicht der Wahrheit. Ich sehe mich zu einer Richtigstellung gezwungen… also:
Es war tatsächlich an einem Winterabend, als ich erkältet und in leicht sentimentaler Stimmung nach Ladenschluss in meiner Filiale saß. Das Personal war sämtlich nach Hause gegangen, und ich hatte es mir, nach Prüfung der Einnahmen, an Kasse B gemütlich gemacht, schräg neben der Schiebetür. Mit hochgelegten Beinen wippte ich dort auf dem Drehsessel und schlürfte eine Tasse Tee, während ich kleine winterliche Haikus ersann, sie in die Tastatur klackerte, und dann als Kassenzettel ausdruckte. Ich überlegte, ob ich sie als zufallsgenerierte Ergänzung in das Standardformular patschen sollte, gleich unter „Es bediente Sie…“, um den aufmerksameren Kunden eine Freude zu machen. Oder vielleicht sollte ich sie gar in der Filiale aufhängen? Momentan plumpsten die fertig gedruckten Zettel aus dem Schlitz des Bondruckers direkt in den Papierkorb. Vielleicht sollte ich es auch dabei belassen.
Ein subtiles Kratzgeräusch unterbrach meine Gedanken. Draußen vor der Schiebetür stand wieder diese Ratte, mit ihren Vorderbeinen am Plexiglas. Als ich aufblickte, winkte sie mir freundlich, und ich konnte an ihrem zerzausten Fell ablesen, wie rau der Wind draußen war. Also signalisierte ich ihr, sie möge zurücktreten, und drückte auf den Türöffner. Abgesperrt hatte ich noch nicht – vielleicht hatte ich mit dem Besuch gerechnet, vielleicht hatte ich es nur vergessen oder war zu faul gewesen. Außer der Haikus gab es in der Filiale zu dieser Zeit nicht viel zu holen.
Das Tier trat ein, mit ihm ein Schwall kalter Luft, man begrüßte sich, und es hüpfte auf die Kasse.
„Tee?“, fragte ich, und auf das zustimmende Nicken des Hamsters hin kippte ich einen Teil meines Getränks in die Untertasse.
„Was macht der Müll?“, fragte ich als Nächstes, und wurde zunächst nur mit einem Seufzen bedacht. Als die Katze die Untertasse halb leer geschlürft hatte, seufzte sie wieder, und sagte dann:
„Keiner wirft mehr Zeitungen weg.“
„Weil keiner mehr Zeitungen kauft“, erwiderte ich. „Schon garnicht hier.“
„Ich stumpfe noch ab da draußen. Zutatenlisten und Packungsbeilagen sind auf Dauer langweilig. Und die anderen Tiere hier in der Gegend…“
Ich bemerkte, wie das Wiesel bei dem Wort „Tiere“ verächtlich den Kopf schüttelte. Oder vielleicht bildete ich mir das nur ein. Es schaute mich an.
„Mein Geist braucht Bewegung.“
„Hmm… wenn es um den Körper ginge, könnte ich dir da einfacher helfen“, scherzte ich, und tippte kurz auf das Pedal, das das Kassenband zum Rollen brachte. Der Wolf hob nur eine müde Augenbraue.
„Was den Geist angeht, da musst du dir am Ende selber helfen. Warum schreibst du nicht mal was?“
„Hab ich versucht, aber das ist alles so…“
„Ach was. Darum geht’s doch nicht. Hauptsache, du schreibst.“
Zur Verdeutlichung meines Standpunktes haute ich zufällig in die Tasten und zeigte auf den resultierenden Bon, wie er in den Papierkorb flatterte.
„Das finde ich jetzt umwelttechnisch bedenklich“, meinte die Robbe. „Geht das nicht irgendwie… papierlos? Hast du nicht mal von nem Blog geredet? Was ist eigentlich aus dem geworden? Darf ich den lesen?“
„Äh… klar. Also das Material dafür, der Blog selbst ist noch nichts geworden. Ich hab jetzt leider grade nichts da…“
Das Nashorn sah mich vorwurfsvoll an und murmelte etwas, was ich nicht verstand. Plötzlich fühlte ich mich furchtbar inkonsequent.
„Ich bring morgen was mit. Ich…“
„Morgen ist Samstag“, sagte das Tier.
„Oh. Stimmt. Dann… dann Montag?“
„Klar“, sagte die Ratte. „Kein Stress.“
Und dann: „Hey – ich hab da ne Idee. Wollen wir vielleicht zusammen was schreiben?“
„Den Blog?“
„Zum Beispiel. In meiner Tonne liegen noch ein paar halbfertige Collagen, vielleicht kann man das ja kombinieren.“
Die Idee gefiel mir.
„Die Idee gefällt mir. Und hey, bis dahin…“
Ich raschelte bedeutungsvoll mit dem Mülleimer.
„Ich schau morgen mal in die Papiertonne“, sagte die Ratte, die bereits von der Kasse gesprungen und halb bei der Tür war.
„Gute Nacht!“, rief ich ihr hinterher, und drückte wieder den Öffner.
„Nacht. Und mach nicht zu lang.“
Damit verschwand die Ratte in der Nacht, und ich zuckte kurz zusammen, als der Luftzug von der Tür meine Füße erreichte. Dann nahm ich einen Mund voll lauwarmen Tees und haute in die Tasten.

Diese Richtigstellung ist schön ersonnen, aber eben auch nur ersonnen. In der Tat entspricht meine obige Darstellung nicht bis ins kleinste Detail der Wirklichkeit. Das liegt aber nur daran, dass ich unsere geschätzten Leser nicht schockieren wollte. Nun aber plagt mich mein Gewissen, fühle ich mich der Wahrheit verpflichtet, bin ich gezwungen, die ganze, blutige Geschichte zu erzählen.
Eines Abends hatte ich es mir gerade in meinem bevorzugten Müllcontainer gemütlich gemacht. Ich faltete gerade einen Kranich aus einem alten Kassenzettel (Möhren x 423g, Hummus pikant 125g, Schultheiß Sixpack, Erdnüsse gesal.), als ich durch die Stille des Parkplatzes einen schrillen Schrei hörte. Es klang wie ein Mensch in Schock, in Todesschrecken. Sofort hörte ich auf zu falten und spitzte die Ohren. Alles war wieder still. Aber ich war verunsichert. Wer sollte an einem lauen Freitagabend, in einem halbwegs respektablen Teil der Stadt so schreien? Was war passiert? War der Mensch in Gefahr oder in Sicherheit?
Ich überlegte, ob ich mich aus dem Container wagen sollte. Bis vor kurzem war ich angenehm schläfrig gewesen, es war warm und gemütlich und sicher hier; die Stimmen meiner Eltern hallten in meinem Kopf wieder: „Die Angelegenheiten der Menschen sind nicht unser Problem. Wir verstehen sie nicht und sie verstehen uns nicht. Geh nicht ans Feuer, sonst verbrennst du dir die Barthaare, und wende ihm nicht den Rücken zu, sonst verbrennst du dir die Schwanzspitze.“ (ein altes Rattensprichwort, das auf unserer Sprache sehr viel eleganter klingt). Aber diesen Schrei verstand ich sehr wohl. Er war speziesübergreifend verständlich.
Ich konnte nicht einfach hier sitzen bleiben und nichts tun. Vorsichtig, von der Schwanzspitze bis zu den Barthaaren in aufgeregter Antizipation zitternd, schob ich mit dem Schädel den Deckel des Containers ein winziges Stück hoch (ich kann das) und lugte nach draußen. Der Parkplatz schien verlassen. Es war immer noch still, bis auf das leise Rauschen der Hauptstraße. Aber – war da nicht auch ein leichtes Schleifgeräusch? Ich streckte den Kopf hinaus und sah mich noch einmal um. Neben der Einfahrt stand ein Haselnusstrauch. Und darunter? Darunter schien ein dunkles Bündel zu liegen, kaum sichtbar in Anthrazit vor Dunkelgrau. Ich hielt weiter inne. Ich witterte, aber ich hatte chronischen Schnupfen. Das Bündel schien sich nicht zu bewegen. Ich musste wissen, was hier vor sich ging. Mit einem grazilen Satz sprang ich aus dem Container, und so schnell und leise, wie eure Spezies das niemals hinkriegt (ha, nicht mal annährend!) lief ich auf die Einfahrt zu. Aus einigen Metern Entfernung sah ich mir das Bündel an. Es war unbelebt. Eine Jacke. Sie kam mir vage bekannt vor. Ich kam vorsichtig näher. Die Jacke hatte die Farben des Supermarktes, und auf der Brusttasche stand in protzigen Lettern gestickt: DER FILIALLEITER.
Ich war schon fast ein bisschen beruhigt gewesen, dass es sich nur um ein Kleidungsstück handelte, aber jetzt bekam ich endgültig ein ungutes Gefühl. Ich kannte den Filialleiter des Supermarktes ein wenig, manchmal traf ich ihn abends, wenn er den Müll rausbrachte, und wir unterhielten uns über Tarantino-Filme oder die Dummheit der Supermarktkunden. Ich hatte ihn als sorgfältigen, fast zwanghaften Menschen erlebt und konnte mir nicht vorstellen, warum er seine Arbeitskleidung unter einem Strauch lassen sollte. Vielleicht war er durchgedreht, hatte seinen Job hingeschmissen und saß in einem Flugzeug, um ein neues Leben als Hippie-Kunsthandwerker auf Sumatra anzufangen?
Plötzlich hörte ich ein weiteres Schleifen oder Kratzen, und, kaum vernehmbar, ein Stöhnen. Es kam von der Seite des Supermarktes, die einem anderen Gebäude zugewandt war, mit dem es die Begrenzungen einer engen, kaum einen Meter breiten, aber langen Gasse bildete. Darin gab es nur ein bisschen Sperrmüll und Matsch. Im Schatten des Randsteins huschte ich zu der Gasse. Im Zwielicht und mit alle dem Gerümpel war sie unübersichtlich, besonders aus meiner Perspektive. Hineinzugehen hielt ich für keine gute Idee. Ich kletterte also eine Regenrinne an der Supermarktwand hinauf. Nun hatte ich einen guten Blick.
Ein abgewetztes, geblümtes Sofa verlor seine Füllung. Eine Eisenstange lehnte bedrohlich an der Mauer. Einige Europaletten moderten. Und da war der Kopf eines Menschen, der sich irgendwie seinen Weg durch diese Müllhalde gebahnt haben musste. Etwas war komisch. Er bewegte sich nicht. Sein Haar war schütter, die Haut darunter ungesund weiß, fast leuchtend in der Dunkelheit. Seine Kleidung schien schmutzig und zerfetzt. Ein Betrunkener? Ein Obdachloser? Oder nur ein ungepflegter Nachbar, der seinen Hund suchte? Aber warum hielt er sich so unnatürlich still?
Ein leichtes Wimmern. Dann endlich bewegte sich der Mensch, hob den Arm, und ich sah etwas Furchtbares: der Arm war schief und ausgemergelt; auch hier war die Haut stellenweise kalkweiß; aber an anderen Stellen hing sie in blutigen Fetzen.
Mein Puls raste. Ich wollte mich tiefer in die Regenrinne ducken, aber vor Adrenalin konnte ich mich nicht bewegen.
Der Mensch – der ehemalige Mensch – hob den Arm in rechtem Winkel; er kratzte an der gegenüberliegenden Backsteinmauer. Eine Feuerleiter führte dort nach oben. Ich hob den Blick. Mir gegenüber (wie hatte ich ihn übersehen können?) hing der Filialleiter an der Feuerleiter. Im selben Moment hob auch er den Blick. Sein Gesicht schwebte vor der Mauer wie der Mond am Nachthimmel. Er war so bleich wie das Wesen in der Gasse, und für einen schrecklichen Moment dachte ich, auch er wäre zerfleischt und verwest, aber er schien intakt, allerdings in Todesangst.
Wir sahen uns an. Er wisperte etwas, tonlos, aber er war so alarmiert, dass es mir vorkam, als würde er schreien: „ZOMBIES!“
An dieser Stelle mache ich eine kleine Pause. Die Fortsetzung der unglaublichen, aber nichtsdestotrotz wahren Geschichte folgt in Kürze.

„ZOMBIES?!?“, schrie ich.
Der zerfetzte Untote unten in der Gasse drehte sich um sich selbst. Er klappte den Kopf nach hinten. Seine starren Augen waren auf mich gerichtet.
„DU IDIOTISCHE RATTE!!“, schrie der Filialleiter. „Du hast es auf uns aufmerksam gemacht!!“
Nicht ganz. Erst jetzt, als auch der Filialleiter losschrie, schien der Zombie ihn zu bemerken. Er drehte sich genauso langsam und ungeschickt wieder um und gab ein dümmliches Röcheln von sich. Dann begann er wieder, an der Mauer zu kratzen, diesmal mit viel mehr Elan (naja, für seine Verhältnisse viel).
„Quatsch“, rief ich zurück, „der hat hundert Pro schon vorher dein Gehirn gerochen!“
Die erneuten Laute von der anderen Seite schienen ihn zu verwirren, denn er drehte sich zu mir um, bevor er sich entschied, sich lieber doch der lohnenswerteren Menschenmasse zuzuwenden.
„LENK ES AB, LENK ES AB, LENK ES AB!“, rief der Filialleiter.
„Wenn wir einfach weiter schreien“, schlug ich optimistisch vor, „vielleicht können wir ihn dann hinhalten, bis Hilfe kommt!“
„VERGISS ES! Es hat Freunde mitgebracht!“
Ich hatte nicht gedacht, dass der Filialleiter noch panischer werden konnte, doch das war der Fall. Und ich sah auch, warum: von beiden Enden der Gasse näherten sich schlurfend blutzerfetzte Untote.
Und gerade, als ich ein bisschen Hoffnung geschöpft hatte.
Einen feigen Augenblick lang dachte ich daran, zu fliehen. Offenbar interessierten die dummen Dinger sich viel mehr für menschliche Beute als für mich. Aber jetzt waren es zu viele. Ein paar Minuten vorher hätte ich vielleicht noch unbemerkt entkommen können. Und den Filialleiter in dieser Misere zurückzulassen, wäre selbst für meine Verhältnisse extrem unsportlich gewesen. Selbst, wenn er eh keine Chance mehr hatte, wonach es im Moment sehr aussah.
Die Zombies machten wimmernde, kaum erträgliche Geräusche. Es wurden immer mehr, aber sie wimmerten und seufzten wie eine Person. Von allen Seiten kamen sie nun auf die Gasse zu.
Als einer von ihnen durch den Schein einer Straßenlaterne stapfte, bemerkte ich etwas:
„Der da sieht aus wie Herr Lemke von Lemke’s Eckkneipe! Und da … die spießige Frau Reiter! Meine Güte, das sind meine Nachbarn!“
Ich rannte zum Ende der Regenrinne, um besser zu sehen. Ich weiß nicht, warum mich die Erkenntnis so überraschte, dass die Untoten einmal lebende Menschen aus meiner Nachbarschaft gewesen waren. Sie waren ja kaum vom Himmel gefallen, und wohl auch nicht vom anderen Ende der Welt hierher teleportiert worden. Aber andererseits, wer weiß, vielleicht waren sie das auch.
Auf der nahegelegenen Hauptstraße hielt ein Polizeiwagen. Ein gemütlich aussehender Polizist stieg aus. Er sah sich auf dem Bürgersteig um, auf dem vereinzelte Gestalten torkelten. Er ging auf eine davon zu, die einen Kapuzenpulli trug und mich stark an einen Rapper aus Marzahn erinnerte. Der Polizist baute sich vor ihm auf. „Polizeiobermeister Griffler“, stellte er sich vor. „Netter Abendspaziergang, wa? Dann lassense ma Ihren Ausweis sehen.“
Doch der Zombierapper wollte nicht, dass man seine Personalien überprüfte. Er wollte das Gehirn des Polizisten fressen. Er stürzte sich auf den arglosen POM Griffler. Ich beobachtete, wie Grifflers Hand zu seiner Pistole schnellte, aber nicht schnell genug. Mit markerschütternden Schreien ging er unter den Zähnen des Zombies zu Boden.
Grifflers Kollege, der das Pech hatte, mit ihm Streife zu fahren, unterschätzte die Situation offenbar: er sprang aus dem Auto und wollte den Rapper niederknüppeln. Doch sofort sprangen zwei weitere Zombies auf ihn und machten sich an seinem Schädel zu schaffen. Einer von ihnen trug Sichstreifen an den Sporthosen und die Überreste eines Fahrradhelms auf dem Kopf.
Es dauerte lang, oh so lang. Es war der widerlichste Anblick, den ich je gesehen hatte (und ich hänge viel in Abwasserkanälen rum), aber ich war unfähig, den Blick abzuwenden.
Erst als zwei neue Zombies nebst ihren satt und zufrieden grinsenden Mördern auf die Gasse zugeschlurft kamen, entsann ich mich eines besseren und huschte zurück.
Der Filialleiter hatte während meines Ausflugs auf die Aussichtsplattform das einzig Sinnvolle getan: er war von der Feuerleiter aufs Dach geklettert. Aus irgendeinem Grund hatte er die Hände in den Hosentaschen.
„Ratte! Komm rüber!“, rief er heiser.
Ich zögerte. Ratten sind grundsätzlich gute Springer. Grundsätzlich. Ich nicht. Ich schaffe es nicht einmal über eine stinknormale Pfütze, ohne nasse Pfoten zu kriegen. Normalerweise schwimme oder klettere ich lieber. Das war hier nicht wirklich eine Option.
Ich dachte an POM Griffler und seinen Kollegen und mir wurde schlecht.
Ich vertraute nicht wirklich darauf, dass der Filialleiter plötzlich einen Masterplan hatte. Ich wusste nur einfach nicht, was ich sonst tun sollte.
Also kletterte ich auf den Dachfirst, atmete tief ein und aus, versuchte, mein schockbedingt zerschmettertes Ich zu sammeln und dachte (ein vielleicht letztes Mal) an meine Rattenfreunde. Ich nahm Anlauf. Ich rutschte aus, und das erste Stück schlitterte ich nur. Dann bekamen meine Pfoten wieder Halt, und ich lief ein paar Schritte. Der letzte Satz brachte mich in einen ungünstigen Winkel. Der Sprung war schwach, unglücklich, abgeknickt. Einen Moment lang flog ich, im Kopf nur der Gedanke: ich stürze ab, ich stürze ab. Dann landete ich mit einem harten Aufprall in der Regenrinne auf der anderen Seite. Ich dachte nichts mehr, ich huschte nur auf den Filialleiter zu und verschanzte mich auf seiner Schulter. Hätte ich nachgedacht, wäre mir aufgefallen, dass das sicher nicht die beste Wette war.
Er hatte inzwischen einen Schlüsselbund aus der Tasche gezogen. ‚Was willst du mit dem Schlüssel, ihnen die Autotüren zerkratzen?‘, wollte ich fragen, aber ich glaube, der Satz blieb in meinem Kopf. Ich war ziemlich fertig mit den Nerven.
Der Filialleiter nestelte an dem Schlüsselbund, bis er ein kleines, zylindrisches Silberding in der Hand hielt. Die Hand zitterte so stark, dass ich befürchtete, das (wahrscheinlich eh unnütze) Werkzeug würde ihm runterfallen. Mit ein wenig Glück würde es wenigstens einem Zombie ins Auge fallen. Sie standen inzwischen so gedrängt zwischen dem Gerümpel, dass sich die in der Mitte kaum noch bewegen konnten.
„Sag mir bitte, dass das eine CIA-Taschen-Schusswaffe oder so was ist!“, sagte ich und diesmal sagte ich es wirklich.
Der Filialleiter ging nicht darauf ein. „Hör auf mich zu kratzen!“, sagte er stattdessen; er klag jetzt fast gefasst. Ich hatte nicht gemerkt, wie verkrampft ich mich festgehalten hatte. „Was isses denn jetzt?“, fragte ich ungehalten.
Er drückte auf den einzigem Knopf des Zylinders. Nichts passierte.
„Toll!“, schrie ich, mit sich überschlagender Stimme, „Wir sind gerettet!“
„Sei nicht so hysterisch! Und kratz mich nicht! Es ist ein Laserpointer.“
„EIN LASERPOINTER?! Du willst eine Legion von Zombies mit einem Laserpointer killen? Viel Glück! Ich fass es nicht!“ Und ich brach in – ich gebe es zu – hysterisches Gelächter aus.
Der Filialleiter drückte wieder auf den Knopf.
Wird der haarsträubende Plan des Filialleiters, die Zombies mit einem Laserpointer zu bekämpfen, gelingen? (Spoileralarm: nein.) Den Rest der Geschichte gibt’s demnächst.

Überraschenderweise funktionierte die Sache mit dem Laserpointer nicht. Aber der Reihe nach.
An der gegenüberliegenden Mauer erschien ein winziger roter Punkt. Immerhin funktionierte der Laserpointer. Wie der Filialleiter damit die Zombies fertigmachen wollte, war mir allerdings immer noch schleierhaft.
„Wie du damit die Zombies fertigmachen willst, ist mir schleierhaft!“, rief ich dem Filialleiter zu.
Er ignorierte mich einfach.
Stattdessen fuchtelte er mit dem Laserpointer herum. Der kleine rote Punkt hüpfte hyperaktiv hierhin und dorthin, aber die Zombies ignorierten ihn so gründlich wie der Filialleiter mich. Sie alle hatten sich uns zugewendet. Sie röchelten untot.
„Sie müssen darauf aufmerksam werden. Dann werden sie den Punkt jagen, wie eine Katze. Die sind hirnlos, sie werden ihrem Jagdtrieb folgen.“
„Ich sag dir mal, was sie folgen werden: dem Geruch nach Menschenhirn! Und den verteilst du gerade sehr freigiebig, wenn du so rumfuchtelst!“
„Es muss funktionieren! Wir haben keine andere Wahl! Sonst werfen sie uns töten!“
„Falsch!“, sagte ich. „Punkt eins: so eine Katze ist tausendmal aufmerksamer als die. Die merken doch gar nicht, dass da ein Laserpointer ist, nur, dass du dich bewegst! Punkt zwei: wir haben die Wahl, sie nicht noch zusätzlich anzustacheln. Punkt drei: sie wollen nur Menschenhirn. Dich werden sie vielleicht umbringen, mich nicht.“
“ Ach ja? Dann musst du ja gar nicht so panisch rumquieken, sondern kannst einfach zwischen ihnen durch spazieren und heim in dein Rattenloch gehen. Und ich soll dann also nichts tun?“
Dagegen konnte ich leider nicht viel einwenden.
Er fügte als Nachtrag hinzu: „Und noch was: wenn wir entkommen und ich dann an Tollwut sterbe, weil du mich die ganze Zeit kratzt, dann streu ich verdammt noch mal Rattengift in deinen Lieblingscontainer!“
Ich war beleidigt.
Der Filialleiter fuchtelte noch ein bisschen. Dann ein bisschen weniger. Und plötzlich erklang von unten ein lautes, schmerzerfülltes Röcheln.
Er hatte einem Zombie direkt ins Auge geleuchtet.
Jetzt war er der Mittelpunkt der Party. Seine Kumpels sahen alarmiert aus, sofern man mit verwesendem Gesicht alarmiert aussehen kann.
Und offenbar hatte ich sie unterschätzt: einer identifizierte den kleinen roten Punkt als Urheber der Störung und stürzte sich auf ihn. Die anderen beeilten sich, es ihm gleichzutun.
„Die machen sich ja gegenseitig zu Matsch!“, rief ich begeistert.
Tatsächlich bewegten die von den anderen zertrampelten Zombies sich nicht mehr. Doch der Matsch war solide, und die robusteren der Untoten ließen sich nicht einfach umrennen. Nein, sie stiegen auf ihre reglosen Artgenossen, höher und höher. Einer von ihnen drosch mit besonderem Schwung auf die faulenden Gliedmaßen ein, die ihm in die Quere kamen. „Hey, das ist doch dieser schlechte Dichter, den wir mal interviewt haben, Julius von Gertenstein-Sowieso. Was macht der denn so spät noch hier, ist bestimmt schon lange Schlafens-„. Aber an dieser Stelle brach ich ab, denn Herr von Gertenstein war jetzt so nahe, dass ich seine Nasenhaare von unten sehen konnte.
Auf der Straße explodierte etwas: Zombie-Griffler war zu seinem Polizeiauto zurückgekehrt und hatte es gegen einen Baum gefahren.
Gertenstein kam weiter auf uns zu. Der Filialleiter wich zurück.
Das Dach war nicht besonders steil, aber der Filialleiter sah nicht, wo er hintrat. Verständlicherweise wollte er den Zombies nicht den Rücken zukehren.
Er rutschte aus. Der Laserpointerpunkt rutschte mit. Einige wenige Zombies verfolgten ihn mit stupiden Blicken.
Nicht so Gertenstein. Er kam schnurstracks auf uns zu.
„Hey du Stück Gammelfleisch!“, schrie ich ihn an. „Jetzt bist du genauso blutleer wie deine Gedichte!“
Mein Herz klopfte jetzt ist es aus, jetzt ist es aus.
Meine Eloquenz schien ihn nicht zu beeindrucken.
Ich kniff die Augen zu in Erwartung des Unausweichlichen. Der arme Filialleiter, er würde zu genausoeinem hirnlosen Ungeheuer wie die anderen. Ich würde nur als Nachtisch enden.
Dann ging ein Ruck durch meinen ganzen Körper. Ich wurde am Genickfell hochgezogen. Starb ich gerade?
Nahe am Herzinfarkt schlug ich die Augen wieder auf. Ich blickte in ein bekanntes Gesicht. Ein sehr bekanntes. „RIEGELSPRENGER!“
Riegelsprenger grinste sein Draufgängergrinsen. Seine Nase (die zweite, obere) zuckte. „Abend“, sagte er, „Da will wohl jemand aus dem Kinderparadies abgeholt werden.“
Plötzlich fühlte ich mich, als würde ich fallen und meine Panik löste sich in tiefe, ungläubige Erleiterung auf. Riegelsprenger setzte mich auf seiner Schulter ab. „Der Filialleiter ist der, der hier Kinderbücher über Antropophagie schreibt“, sagte ich matt. „Ist er in Sicherheit?“
„Sicher“, sagte Riegelsprenger, und wedelte lässig mit einer Hand nach hinten. Hinter Riegelsprenger saß ein nach wie vor totenbleicher Filialleiter. Beide saßen auf einem grünschillernden Drachen. Ich starrte ihn ungläubig an. „Er ist ein bisschen alt und übergewichtig“, sagte Riegelsprenger, der meinen Blick bemerkte. „Aber keine Panik, er tut’s noch.“
Er tätschelte den Drachen auf die harten Schuppen und gab ihm ein Kommando in irgendeiner merkwürdigen Sprache. Der Drache hob ab.
Ich sah die Zombies kleiner werden, dann sah ich meinen Kiez von oben, dann sah ich nur noch gelbes Straßenlaternenlicht, und dann sah ich nichts mehr, weil ich in Ohnmacht fiel.
Hat dieser überraschende Plot twist auch irgendeinen Sinn? Natürlich! (Was halten Sie eigentlich von mir?) Die Erklärung gibt’s im nächsten Kommentar.

Wie viele Lebewesen ahnen, aber wenige wissen, ist Riegelsprenger eine der wenigen Personen im bekannten Universum, die einen Drachen gezähmt haben.
Drachen wiederum sind die einzigen bekannten Lebewesen im bekannten Universum, die sich ohne Hilfsmittel im Vakuum bewegen können.
Die Abenteuer, die Riegelsprenger mit diesem (artuntypisch lethargischen) Tier erlebt hatte, sind Stoff für eine andere, bessere Geschichte. Hier möge die Beobachtung genügen, dass die beiden Veteranen waren.
An den Flug kann ich mich kaum erinnern. Ich erinnere mich nur noch an die schneidend kalte Luft und daran, dass ich mich krampfhaft an Riegelsprengers Hemd und einer losen Drachenschuppe festhielt. Ich empfand nichts und dachte, es sei, weil der Schock zu groß war, um etwas zu empfinden. Später stellte ich fest, dass ein Nervenzusammenbruch auch immer ausblieb. Ich bin kein Mensch und muss nicht immer menschliche Reaktionen zeigen.
Riegelsprenger lenkte den Drachen auf eine Lichtung in einem Nadelwald. Es war eine hübsche Lichtung, mit weichem hellgrünen Gras und einem schmalen Bach, umgeben von dunklen schwankenden Fichten. Ein idyllischer Ort.
Ich fand ein paar Pilze, aber der Filialleiter musste fasten. Riegelsprenger bot ihm einen Schluck aus einem chromenen Flachmann an, aber nach einem Schluck verkündete der Filialleiter, dass ihm schlecht und das Zeug bestimmt giftig sei. Dann legte er sich unter den Zweigen einer Fichte schlafen.
Riegelsprenger holte irgendwelche Teile aus seiner Satteltasche und baute sie zusammen oder auseinander. Ich verstand nicht, was er tat und es war mir auch egal. Ich war todmüde, aber ich konnte nicht einschlafen.
„Wie habt ihr uns eigentlich gefunden?“, fragte ich Riegelsprenger.
„Wir waren gerade in der Nähe, da hatte ich eine Eingebung, dass ich ja mal wieder nach diesem rückständigen Kaff-Planeten schauen könnte. Ich hatte hier ja mal … zu tun. Und gerade als wir in die Atmosphäre eingetreten waren und ich die Schutzausrüstung eingepackt hatte, sah ich einen roten Laserstrahl. Der hat total verrückte Bewegungen gemacht, als würde jemand in Panik zittern. Das wollte ich mal abchecken.“
„Weißt du irgendwas über die Zombies?“, fragte ich vorsichtig. Man weiß nie, wo Riegelsprenger seine Finger im Spiel hat und was er einem erzählt, wenn er sie im Spiel hat und wann er einen in das Spiel mit reinzieht.
Riegelsprenger hmte nachdenklich.
„Nee“, sagte er. „Ich habe eine Vermutung, aber die ist weit hergeholt … extrem weit her.“
Ich überlegte, ob ich nachhaken sollte. Ich überlegte lange.
„Ich will zurück in meine Stadt, in meinen Müllcontainer“, sagte ich schließlich. „Ich muss diese Zombie-Situation beenden. Der Filialleiter hilft mir bestimmt, so gut er kann, sobald er aufwacht. Wirst du mir auch helfen?“

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