Begegnung im Freien

„Solipsismus ist was Schönes.“ – Rattus rattus

Als er nach langen Stunden aus dem Büro heraustrat, war es um ein Gutes wärmer, als er es sich von drinnen vorgestellt hatte, und alles sah unwirklich aus. Das Gewitter, das bis vor einer halben Stunde oder einer Stunde oder zwei noch wilden Regen an die Glasfront neben seinem Schreibtisch geklatscht hatte, hatte sich beruhigt oder verzogen, und die warme Luft war gelb vom Regen. Wie durch einen sehr ausgefeilten Filter gesehen, wie mit einer sehr guten Grafik-Engine stilvoll gerendert, dachte er, als er langsam und mit benommenen Schritten, vorsichtig und ganz überwältigt noch, in die Straßenflucht einbog. Er machte ein paar Fotos von futuristischen Gebäuden gegen den tiefblauen Himmel mit seinen zartrosa Zuckerwellen, von dem Durchgang zwischen den Firmengebäuden, der zum Supermarkt führt, und von einem Motorrad, das malerisch nass neben einem knallroten Hydranten stand, der seinerseits in saftigem Grün verankert war. Als er am Steg des Pools vorbeikam, hörte er durch die noch aufgeregten Wellen einen einsamen Schwimmer seine feierabendlichen Bahnen ziehen. Des Schwimmers Züge rauschten ruhig und kräftig, und als er nun im vorbeigehen in dessen Richtung blickte, sah er einen muskulösen schwarzen Arm gen Himmel ragen, und im Wasser auf dem Arm kräftigte sich das diffuse Licht der Umgebung zu einem bedeutungsvollen leuchtenden Stab. Fasziniert von dem Anblick ließ er seinen Schritt stocken und überlegte sogar für einen Moment, das Mahnmal festzuhalten, als ihm klar wurde, wie lächerlich er sich verhielt. Er beschloss, die Kamera seines Smartphones nicht mehr weiter zu bemühen und steckte es weg. Es konnte die Lichtstimmung sowieso nicht akkurat festhalten, nicht den Zauber darin. Und nicht die verheißungsvolle Luft, und den ihn sanft beatmenden Wind. Der Arm des Schwimmers klatschte herunter und wie zur Bestätigung seiner Wahl hob sich das linke Mahnmal. Er ging weiter. Zwischendurch war die Wand aus Häusern auf der anderen Straßenseite durchbrochen. Eine weite Baugrube erstreckte sich da, und aus ihr ragten Kräne durch den Abendhimmel bis in die vielversprechende Zukunft, die der Horizont dahinter ankündigte. Und als er ans Ende der Häuserschlucht kam, stand ein Mann in einem teuren Anzug im Wind unter einem Baum und telefonierte. Alles sah bedeutungsvoll und schön und sorgfältig arrangiert aus.

Er bog auf den Fußweg Richtung Straßenbahn, neben dem ein Radweg verlief, neben dem sich Bäume reihten, und genoss die Regelmäßigkeit seines Schrittes, und dass er sich völlig sauber fühlte. Rein. Seine Kleidung juckte nicht, sie war nicht zu warm oder behinderte ihn. Nichts schmerzte ihn, alles war wohlig frisch und still. Er roch das künstlich süße Parfum einer vorbeifahrenden Radfahrerin, und versuchte, es nicht zu sehr einzuatmen, um den Moment nicht zu verunreinigen. Als ihm nach einer Weile eine andere Radfahrerin mit glattroten Haaren entgegenkam, löste sich sein Kopf von seinem Körper und sagte: Halt. Die Radfahrerin bremste vor seinem ausgestreckten Arm ab, schaute ihn verwirrt an, doch nicht annähernd so empört wie sie hätte sein müssen. Du siehst nett aus. Sehe ich nett aus?

Du siehst okay aus.

Na gut.

Warum hast du mich angehalten?

Spiel mit dem Zufall. Das Wetter.

Das Wetter?

Ja, schau mal – er gestikuliert in eine Richtung, in die er nicht schaut – das ist scheiße schön.

Sie auch nicht – Stimmt. Und du meinst, das sieht der Zufall genauso?

Vielleicht. Vielleicht auch nur ich, aber nichts anderes ist ja Zufall. Irgendwas in mir hat das ausgelöst.

Irgendwas in mir findet das okay. Komisches Wetter.

Sie stehen sich eine Weile schweigend gegenüber.

Wenn du weg musst-

Sei leise. Sie sieht ihn an und er sieht sie an, aber es ist nicht so, wie er es sich vorgestellt hat. Der Wind wird ein wenig kühl und seine Füße steif vom Stehen. Kurz ist er verunsichert, aber dann lässt er sich einen Schritt nach vorne fallen, und er ist wieder in dem Moment, ohne Ablenkung. Sie streckt sich von ihrem Rad.

Ein Kuss. Er geht darauf ein und ihre Lippen sind weich und leicht wie der Moment. Kurz sehen sie sich über ihre Nasen an, und ihre Augen lächeln ihm ins Gesicht. Er spürt es auf seinen Wangen. Sie finden sich wieder und ein wenig Zeit vergeht. Sie kennen sich, und mit dem Gefühl des Wiedersehens dreht er sich schließlich weg, seine Hand löst sich vom Rücken ihrer Regenjacke. Wie können Regenjacken so weich sein. Während er sich seinem Weg zudreht und sie sich ihrem Rad, und den Fuß wieder aufs Pedal setzt, sind ihre Blicke noch verbunden und das Lächeln reißt nicht ab.

Als er seinen Kopf mit verschwommenen Augen über dem Pflaster baumelnd wiederfindet, und den Rhythmus seiner Beine spürt, haben sie ihn schon fast bis zur Haltestelle getragen.


Was danach geschah: Nachdem ich dieses kleine Dings zu Laptop gebracht hatte und der Zug an meiner Station angequietscht war, bin ich noch ganz melancholisch zu meinem Auto geschlurft, und als allererstes kam dort dieser Song. Wenn das mal nicht passt. Schöne Zufälle sind was Schönes. Glaubt ihr an sie?

2 Kommentare

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Letzten Freitag auch wieder so ein Moment;
ich habe vor ein paar Monaten ein billiges rotes Plastikfeuerzeug gefunden, und trage es seitdem in meinem Mantel mit mir herum, nur für den Fall, dass mich jemand danach fragt, ob ich seine Zigarette anzünden kann. Ich selbst rauche zwar nicht und halte prinzipiell nicht viel davon, aber man will sich ja sozialisieren und Hilfsbereitschaft zeigen… jedenfalls ging ich auf dem Weg zur Arbeit auf eine Ampel zu, und schaltete gerade quer durch die Songs auf meinem mp3-Player, als mich ein Bauarbeiter zu sich herwinkte. Nach Monaten, endlich, die Gelegenheit. Eilig nahm ich die Kopfhörer raus, er fragte, ob ich Feuer hätte, und ich bejahte ganz erfreut, öffnete meinen Mantel, fummelte in verschiedenen Innentaschen herum, bevor ich die richtige gefunden hatte, dann verklemmte sich das Feuerzeug quer in der engen Tasche, aus der ich es herausziehen wollte, ich bat um Verzeihung und nahm die zweite Hand zur Hilfe… kennt ihr die Verfilmung von „The Time Machine“ von 2002 mit Guy Pearce? Da gibt es diese Szene mit dem Verlobungsring im Park, und da es Oktober war (und ist), war es auch passend kalt – ich weiß nicht, wie oft meine Mutter mich genötigt hat, diesen Film mit ihr zu sehen. Jedenfalls habe ich mich für einen kurzen Moment daran erinnert. Und dann konnte ich ihm seine Zigarette anzünden, und alles lief super. Nur die Ampel war inzwischen grade wieder rot, sodass ich nach dem eiligen Verabschieden nur ein paar Meter entfernt mit dem Rücken zu ihm auf die nächste Grünphase warten musste, was sich etwas merkwürdig bzw. peinlich anfühlte. Ihr kennt das sicher, muss ich ja nicht beschreiben.
Ich sortierte mich also an der Ampel neu, Kopfhörer rein, Mantel zu, und dann erst fiel mir bewusst auf, dass das Lied, für das ich mich nur wenige Augenblicke vor dieser Begegnung entschieden hatte, „Cigarettes“ von Fort Minor war. Wahnsinn, oder? Gutes Lied übrigens. Geht aber garnicht um Zigaretten.

Ich weis genau was du meinst neulich war ich im Bierzelt und habe Bier bestellt und geneu da haben sie Bierzeltmusik gespielt!!!! Voll der krasse Zuphall!!
Schöne Grüße von oma Gerti, sie sagt du sollst mal wieder zum Mittagessen kommen

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