Die böse Regisseuse

Sie wandelt stöckelnd auf dünnem Eis,
doch sie weiß, dass sie es besser weiß.
Der Vorhang geht auf, doch statt einer Szene,
Sieht die Gesellschaft nur den Spiegel,
Im Zahnarztstuhl der Volksmundhygiene,
Bricht die Regisseurin alle Siegel.

Dämonen stolpern über die Bretter:
Blutige nackte, in altdeutscher Letter.
So hätte Lessing sich das nie geträumt,
dass über Minna 2022 die Hölle schäumt.
Doch was die Zuschauer in Atem hält:
Die Bühne ist schöner als die echte Welt.

Seitenlicht erleuchtet blass die Gestalten,
Im Rhythmus wird der Atem gehalten.
Die Akteure sind selbst alle höchst ästhetisch,
Das ist ein allgemeiner Akademienfetisch.
Außer bei den Alten, da walten,
Während sie im Rampenlicht erkalten,
Auch schrägere Gestalten,
in Würdigung der Falten.

Die Regisseurin weiß um die Synthese
aus altem Stück und Anamnese
der modernen klinischen Gesellschaft,
die Tradition auch gerne abschafft.
Das begrenzt allerdings die Optionen,
für die dargestellten Personen.

Der Adel trägt keine weiße Weste,
und man feiert keine Bühnenfeste.
Das gibt’s in ganz Europa,
eigentlich nur noch in der Oper.
Doch wo es früher die Masken gab,
reißt man sie heute dem Bürger ab.

Manchmal hält man sich aber besser bedeckt
Und kalkuliert kühl mit dem Effekt.
Nicht dass man ein Tabu aufdeckt,
und so sein Publikum verschreckt.
Der Intendant meint, man solle versuchen,
Dass auch weiterhin Leute die Vorstellung besuchen.

Sie soll probieren einen Hit zu landen,
da hat man sie schon falsch verstanden:
Sie buhlt nicht um der Zuschauer Gunst,
Ihr geht es ganz persönlich um die Kunst.
Ihr Konzept passt nicht auf einen Glückskekszettel,
Trotz dem ganzen Kritikergebettel.
Sie will gar keine Message setzen,
Nicht mal das Patriachat zerfetzen.
Sie liebt, genauso wie ihr Vater,
Ganz einfach das Theater.

Am Ende klatscht der ganze Saal,
Gereinigt ist die Gemeinmoral.
Und das Ensemble singt im Chor:
„Das hatten wir gar nicht vor!“

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